Nachtrag zur 130-vs-140 km/h-Rechnung
Im gestrigen Blogeintrag habe ich als Hilfsmittel Excel verwendet.
Es muss nicht unbedingt Excel sein, mit anderen Tabellenkalulationsprogrammen (LibreOffice, GoogleSheets, …) gehts auch.
Ich habe auch geschrieben, dass ich das Beispiel für schulgeeignet halte, allerdings nur mit Tabellenkalkulation.
Ich möchte heute zeigen, wie man das Beispiel in „klassischer“ Art mit algebraischen Formeln rechnen müsste.
Noch einmal das Problem:
Zwei Autos, das langsamere mit Geschwindigkeit $V_1$, das schnellere mit Geschwindigkeit $V_2$, merken an der selben Stelle, dass sie bremsen müssen. Welche Geschwindigkeit hat das schnellere an der Stelle, an der das langsamere stehen bleibt.
Wir starten mit Parametern:
$V_1$ und $V_2$ ist die Geschwindigkeiten.
Die Reaktionszeit ist $t_0$.
Die Bremsverzögerung ist $a$.
Wir nehmen an, dass Bremsverzögerung und Reaktionszeit für beide Fahrer und beide Autos gleich sind.
Dann ist die Geschwindigkeit des langsameren Autos zum Zeitpunkt $t$ (0 ist der Zeitpunkt, an dem die Fahrer merken, dass sie bremsen müssen)
$v_1(t)=V_1- a (t-t_0)$
Genau genommen gilt die Formel nur solange, bis die Geschwindigkeit 0 beträgt.
Analog gilt natürlich für das schneller Auto
$v_2(t)=V_2 – a (t-t_0)$
Die Strecken, die die beiden Autos biz zum Zeitpunkt $t$ zurückgelegt haben, sind
$s_1(t)=V_1 t – \frac{a(t-t_0)^2}{2}$
$s_2(t)=V_2 t – \frac{a(t-t_0)^2}{2}$
Der lineare Term in diesen Formeln ist der Reaktionsweg, der quadratische der Bremsweg, die Summe heißt Anhalteweg.
Diese Formeln gelten nur nach Ablauf der Reaktionszeit und bis zum Stillstand des Autos.
Wann kommt das langsamere Auto zum Stillstand, und welche Strecke hat es bis dahin zurückgelegt?
Anders gefragt: Für welches $t=t_1$ gilt $v_1(t_1)=0$ und wie lang ist dann der Anhalteweg.
Wir lösen dazu
$V_1-a (t-t_0)=0$.
Die Lösung ist $t_1=t_0+\frac{V_1}{a}$
Der Anhalteweg ist daher
$b_1=s_1(t_1)=V_1 t_0 + \frac{V_1^2}{2 a}$
Wann erreicht das schnellere Auto den Anhaltepunkt des langsameren?
Dazu müssen wir folgende Gleichung (für $t$) lösen:
$s_2(t)=b_1$ oder ausgeschrieben
$V_2 t – \frac{a(t-t_0)^2}{2}=V_1 t_0 + \frac{V_1^2}{2 a}$
Das ist nicht mehr ganz einfach, aber da es sich um eine quadratische Gleichung handelt ist es möglich. Wir erhalten 2 Lösungen:
$t_2= t_0 + \frac{V_2}{a} – \frac{\sqrt{(v_2-v_1)(2 a t_0 + v_1 + v_2)}}{a}$
und
$t_2= t_0 + \frac{V_2}{a} + \frac{\sqrt{(v_2-v_1)(2 a t_0 + v_1 + v_2)}}{a}$
Welche der beiden Lösung passt zu unserem Problem? Analog zur Rechnung für das langsamere Auto sehen wir, dass das schnelle Auto zum Zeitpunkt $t_0 + \frac{V_2}{a}$ stehen bleibt.
Der zweite „Lösungszeitpunkt“ liegt also nach dem Zeitpunkt, wo auch das schnellere Auto bereits steht, daher können wir nur die erste Lösung verwenden.
Jetzt müssen wir nur noch den Zeitpunkt $t_2$ in die Geschwindigkeitsformel $v_2(t)$ für $t$ einsetzen, dann haben wir die Aufprallgeschwindigkeit.
$v_2(t_2)=\sqrt{(V_2-V_1)(2 a t_0 +V_1 + V_2)}$
All diese Formeln und Gleichungen gehen davon aus, dass wir in einem einheitlichen Maßsystem, also Metern (m) und Sekunden (s) rechnen. Für praktische Zwecke wollen wir aber die Geschwindigkeiten in km/h angeben. Wir müssen dazu als Geschwindigkeiten von km/h in m/s umrechnen.
Da eine Stunde 3600 Sekunden hat sind 1 m/s = 3600 m/h = 3,6 km/h und umgekehrt natürlich
1 km/h = 1/3,6 m/s.
Wenn wir jetzt die Reaktionszeit $t_0$ = 0,8 s, die Bremsverzögerung
$a$ = 7,5 m/s$^2$, $V_1$=130 km/h = 36,11 m/s und $V_2$=140 km/h = 38,89 m/s in unsere Formel einsetzen, dann ergibt das eine Aufprallgeschwindigkeit von
$v_2(t_2)$ = 15,55 m/s = 55,99 km/h
Diese Art der Darstellung ist in gewissem Sinn als abschreckendes Beispiel gedacht.
Die Umformungen sind „denkaufwendig“ und das Gleichungslösen und Termeinsetzen einfach mühselig.
Die Berechnung mit Tabellenkalkulation erscheint mir wesentlich einfacher und didaktisch weitaus ergiebiger.
Man hat beim Rechnen mit der Tabellenkalkulation auch immer Zahlen vor Augen, und bei diesen Zahlen hat man auch während des Modelliervorgangs eine Vorstellung über die Qualität der Lösung. Modellfehler entdeckt man in der Regel früher, weil man sehen kann, ob die Zahlen mit der Vorstellung von der Lösung einigermaßen zusammenpassen.