Mathematik und Mathematikunterricht – getrennte Welten
Michael Hufnagl mach im Kurier seinem Ärger über den Mathematikunterricht sehr deutlich Luft.
Für mich als Mathematiker, der sein Fach sehr mag, ist das sehr schmerzhaft.
Er hat in dem, was er sagt, großteils recht, aber es gibt doch einiges anzumerken. Die Mathematik, die er meint, ist die Mathematik, die meist in der Schule vermittelt wird. Und die ist ziemlich weit entfernt von dem, was Mathematik im Alltagsleben vieler Leute bedeutet oder bedeuten kann.
Ich bilde (auch noch als Pensionist) an der Universität Wien angehende Informatik-Lehrer aus. Da ist Mathematik unvermeidbar und ich bin daher in die Problematik durchaus eingearbeitet. Mein Studierenden müssen sich immer wieder folgenden Vergleich anhören:
Wenn wir einen Vergleich zwischen Mathematik und Musik machen, dann beschäftigt sich der Mathematikunterricht in der Schule „mit typografischen Feinheiten der Notenschrift“, die Schüler „hören aber keine Musik“ und sie erhalten auch keine Gelegenheit, „Musikinstrumente zu erproben“.
Wenn wir das ändern wollen ist allerdings radikales Umdenken beim Formulieren der Ziele des Mathematikunterrichts notwendig.
Ich möchte an einem kleinen Beispiel illustrieren, wo die Problematik des Mathematikunterrichts derzeit liegt.
Ich bin (mea maxima culpa) auch Schulbuchautor. Zuständig u.a. für Statistik in einem Schulbuch für die 3. und 4. Klasse AHS. Ich wollte im Schulbuch ein Beispiel (mit echten, an meinen Studenten erhobenen) Daten darüber, ob Kinder eher zu Rauchern werden, wenn ihre Eltern rauchen.
Die Verlagslektorin wollte verhindern, dass dieses Beispiel ins Buch kommt. So ein Thema sei nicht schulbuchgeeignet.
Ich wollte es damit nicht bewenden lassen und habe recherchiert. Im Deutschbuch derselben Schulstufe gibts Vorschläge für Diskussionen, weil man im Deutschunterricht auch Argumentieren lernen soll. „Rauchverbot Ja oder Nein“ war dort einer der Themenvorschläge. Damit konfrontiert war die Verlagslektorin der Meinung, dass man das ja vielleicht im Deutschunterricht machen könne; im Mathematikunterricht habe etwas mit derartigem Bezug zum Alltagsleben und zur Gesellschaft aber nichts verloren.
Nach langen Diskussionen hab ich mich doch durchgesetzt, das Beispiel ist im Buch der 3. Klasse jetzt drinnen. Ich wollte es allerdings zum Aufhänger eines ganzen Abschnitts machen, weil ich zeigen wollte, dass Datenanalyse ein wichtiges Instrument zum Verständnis der Welt um uns sein kann. Das ist mir nicht gelungen. Es ist „nur“ ein Rechenbeispiel.
Dass es die Diskussion überhaupt gegeben hat zeigt für mich ganz deutlich, wo die Probleme des Mathematikunterrichts liegen.
Ich würde mir natürlich wünschen, dass der Deutschunterricht und der Mathematikunterricht so abgestimmt werden, dass bei Argumentieren im Deutschunterricht die Einsichten, die man aus der Datenanalyse im Mathematikunterricht hoffentlich gewinnt, einfließen.
P.S.: Auch die Taktung der Schule in 50-Minuten-Einheiten ist ein fundamentales Problem für den Mathematikunterricht. Viele spannende Probleme lassen sich meist nicht in derart kurzer Zeit „zu Ende denken“. Auch deswegen ist die Diskussion um die Lehrerdienstrechtsreform so absurd: Dort geht es darum, wie viele dieser 50-Minuten-Einheiten neue LehrerInnen unterrichten sollen. Dabei sollten neue LehrerInnen sich vor allem von der 50-Minuten-Taktung befreien können. Jetzt schon angestellte LehrerInnen übrigens auch.
1 Comment
Sag‘ ich ja! Es gibt zu wenig gute Lehrer und die paar guten werden von der Schulbürokratie erdrückt.