Journalisten und Statistik

Posted by Erich Neuwirth on 5. Mai 2014 in Statistische Fakten zur Politik |

In einem Presseartikel zum Thema Ungleichheit der Einkommensverteilung liest man folgendes

Blickt man auf bekannte Gleichheitsstudien, könnte man erwarten, dass die Ungleichheit in den Orten am höchsten ist, in denen die Menschen am wenigsten verdienen.

Ein Statistik-Student hätte bei so einer Formulierung schon ein Problem, die Prüfung über Statistik 1 noch positiv abzuschließen.

Es geht in dem Artikel um den Gini-Koeffizienten (in der deutschsprachigen Literatur heißt er auch Lorenz-Münzner-Koeffizient). Der misst die relative Ungleichheit.

Das Ergebnis der dort zitierten Studie der Wirtschaftsuniversität Wien ist, dass die Ungleichheit in reicheren Gemeinden eine höhere ist als in armen Gemeinden. Der Journalist schließt daraus, dass es auch in reicheren Gemeinden Arme geben muss.

Das ist aber nicht richtig.

Stellen wir uns eine Gemeinde A vor, in der es nur zwei Einkommensklassen gibt, und in der die Besserverdiener das
Doppelte der Schlechterverdiener verdienen. Zwei Drittel der Einkommensbezieher sind Schlechterverdierer.
In dieser Gemeinde beträgt der Gini-Koeffizient 0,33.

In einer anderen Gemeinde B verdienen die Besserverdiener das Fünffache der Schlechterverdiener, und auch dort sind die Schlechterverdiener zwei Drittel aller Einkommensbezieher. In dieser Gemeinde beträgt der Gini-Koeffizient 0,5.

Der Gini-Koeffizient ist unabhängig von der Höhe der Durchschnittseinkommen in den beiden Gemeinden. Auch wenn die Schlechterverdiener in Gemeinde B deutlich besser verdienen als die Besserverdiener in Gemeinde A, ist der der Gini-Koeffizient in Gemeinde B höher als in Gemeinde A. Dabei verdient trotz der höheren Ungleichheit jeder Einkommensbezieher in Gemeinde B mehr als jeder Einkommensbezieher in Gemeinde A!

Um in der Analogie des Journalisten zu bleiben:

In diesem Szenario gehen also in der Gemeinde B nicht Kinder von ärmeren und reicheren Österreichern in dieselbe Schule. Man könnte vereinfachend sagen, dass da Kinder von Reichen mit Kindern von extrem Reichen in die Schule gehen, während in Gemeinde A Kinder von armen mit Kindern von halbwegs Wohlhabenden in die Schule gehen.

Bei dem zitierten Artikel ist die Versuchung, ein bekanntes Kreisky-Zitat zu variieren, sehr groß:

Lernen sie Statistik, Herr Redakteur!

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