Wahlaufhebung – wie kann man sie rechtfertigen
Als Statistiker und Mathematiker ist man gewohnt, Argumente auf ihre Konsistenz zu prüfen. Gelegentlich liest man Texte, die dieser Prüfung wohl nicht standhalten.
Gerhard Strejcek schreibt in der Presse vom 9. September 2018, dass seiner Meinung nach die Strafen für die Beamten und Bürgermeister, die die Auszählung bei der Bundespräsidentenwahl nicht vorschriftsgemäß durchgeführt haben, zu hoch sind. Die verhängten Geldstrafen liegen zwischen 5.000 und 14.000 €, in einem Fall wurde auch eine mehrmonatige bedingte Freiheitsstrafe verhängt.
Er begründet das damit, dass es sicher keine Manipulation der Wahl gegeben habe. Woher er die Gewissheit bezieht, dass es Tatsache sei, dass es keine Manipulationen gegeben habe, erläutert er mit keinem Wort.
Er ist aber auch der Meinung, dass der Verfassungsgerichtshof die Wahl zu Recht aufgehoben habe, und begründet das folgendermaßen:
Hingegen soll der VfGH weiterhin ergebnisrelevante „Wahlfehler“ ahnden.
In § 141(1) des Bundesverfassungsgesetzes steht folgender Satz:
Der Verfassungsgerichtshof hat einer Anfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens erwiesen wurde und auf das Verfahrensergebnis von Einfluss war.
Die Verfassung stellt also klar, dass „Wahlfehler“ nur dann ein Aufhebungsgrund sind, wenn sie tatsächlich das Verfahrensergebnis beeinflusst haben. Strejcek ist der Meinung, dass es keine Manipulation gegeben habe. Dann hat die Nichteinhaltung der Vorschriften aber das Verfahrensergebnis nicht beeinflusst.
Eine Wahlaufhebung zu rechtfertigen, wenn man der Meinung ist, dass es keine Manipulationen gegeben hat, scheint einigermaßen unverständlich.
Strejcek ist auch der Meinung, dass der VfGH im Wege einer Prognose selbst entscheiden könne, ob Wahlfehler „erheblich“ sind und dazu keine Statistiker brauche. Prognosen sind Aussagen über mögliche Zukünfte. Das Erkenntnis des VfGH bezieht sich dagegen auf eine in der Vergangenheit durchgeführte Wahl. Da braucht man keine Prognosen sondern Analysen. Und Statistiker(innen)? sind Spezialisten darin, zu analysieren, ob vorliegende Daten bestimmte Schlussfolgerungen belegen oder nicht. Es gibt ausreichend Untersuchungen darüber, wie schwierig es auch für kluge Menschen ist, statistisch sauber zu argumentieren. In den Entscheidungsprozess auch statistisches Fachwissen einzubeziehen wäre sicher vernünftig gewesen. Man kann mit allgemeinverständlicher statistischer Aufbereitung der Ergebnisse ganz klar und objektiv belegen, dass es keine Manipulationen gegeben hat. Allerdings können auch kluge Juristen diese Aufbereitung wohl kaum selbständig erstellen. Weil es sinnvoll ist, bei rechtlichen Entscheidungen auch außerjuridisches Fachwissen beizuziehen, gibt es die Institution der Sachverständigen. Zusammenhänge bei Wahlergebnisses zu analysieren gehört in den Kompetenzbereich von Statistiker(inne)?n und sicher nicht zu den Kernkompetenzen von Juristen.
Dass der Verfassungsgerichtshof Sachverständige heranziehen kann ist durch den § 35 des Verfassungsgerichtshofgesetzes geregelt. Dieser Paragraf besagt, dass die Verfahren im Wesentlichen nach den Verfahrensregeln der Zivilprozessordnung durchzuführen sind, und dort ist die Beiziehung von Sachverständigen vorgesehen. Befreundete Juristen sagen mir, dass das in der Vergangenheit auch schon mehrfach geschehen ist.
Die Nichteinhaltung der Vorschriften hat natürlich schon Folgen: Das Vertrauen der Wähler in die saubere Durchführung von Wahlen wurde nachhaltig beschädigt. Bei Wahlen ist wichtig, dass auf Grund des nachvollziehbaren Ablaufs Zweifel über die Gültigkeit des Ergebnisses ausgeschlossen werden können. Ein ganz wichtiges Prinzip bei Wahlen ist, dass sichergestellt werden muss, dass Wahlverlierer keinen Zweifel daran haben können, dass sie tatsächlich verloren haben. Genau diese Zweifel waren diesmal aber als Folge der Verfahrensmängel begründbar. Die jetzt Verurteilten haben also eine der Grundlagen, auf denen Konsens über demokratische Verfahrensweisen beruht, beschädigt.