Anmerkungen zu Anmerkungen zur Zentralmatura
Ich habe einige Zeit nachgedacht, ob ich diesen Blogeintrag überhaupt schreiben soll. Ich glaube nämlich, dass man Einschätzungen der Zentralmatura erst sachlich sauber untermauern kann, wenn auch die Ergebnisse vorliegen. Das wird erst in ein bis zwei Wochen der Fall sein.
Es gibt aber schon zwei öffentliche Äußerungen, die ich als ärgerlich empfinde, und diese Äußerungen möchte ich kommentieren; vor allem deshalb, weil erst später erhobener Widerspruch nur mehr in sehr geringem Umfang wirksam wird.
Der Lehrervertreter Eckehard Quin wird in der Presse zitiert:
Aufgrund der unterschiedlichen Leistungsstärke der Schüler müsse das Niveau „notgedrungen tief angesetzt werden“
und
In Summe wird damit natürlich das Reifeprüfungszeugnis weniger wert sein.
Was ist denn die Rolle der Matura? Sie verleiht die Berechtigung, nahezu jedes Fach an der Universität ohne weiteren Eignungsnachweis zu studieren.
Daher ist es wichtig, dass alle, die für universitätsreif befunden werden, gewisse Mindeststandards erfüllen, und zwar in allen vom Lehrplan der AHS vorgesehenen Teilgebieten der einzelnen Fächer.
Bei der alten nichtzentralen Form der Matura konnte ein_e Lehrer_in beispielsweise im Mathematikunterricht Wahrscheinlichkeitsrechnung einfach gar nicht oder nicht in ausreichendem Umfang unterrichten. Wenn dann bei der Matura keine entsprechende Aufgabe gestellt wurde, wurde dieser Mangel nie entdeckt. Das ist bei der Zentralmatura in dieser Form nicht mehr möglich.
Auf Twitter haben manche Leute auch Äußerungen von Mathematiklehrer_innen,
die heuer keine Maturaklasse hatten, berichtet. Da gab es (angeblich) auch: „Ich hätte das nicht zusammengebracht“. Also ist die Aussage über das tiefere Ansetzen der Leistungsstärke wohl etwas zu relativieren.
Wirklich beurteilen kann man das Niveau der Leistungsstandards wohl erst nach Vorliegen der Ergebnisse. Denkbar ist immerhin, dass es Schulen geben kann, wo sehr viele Schüler_innen relativ schlecht abgeschnitten haben. Sollte das der Fall sein, dann kann man zumindest über solche Schulen nicht sagen, dass dort die Leistungsstandards abgesenkt wurden.
Ein Wesenszug der Zentralmatura ist, dass die Leistungen der Schüler_innen (und damit ihre Lehrer_innen) vergleichbar gemacht werden, ohne dass die Schulen daran etwas „verschönern“ können.
Und mit Aussagen über die Leistungsfähigkeit sollten wir warten, bis Ergebnisse vorliegen.
Es gibt noch ein weiteres Ärgernis. Herr Taschner wird in einem Artikel in der Presse über eine der Aufgaben der Mathematikprüfung wie folgt zitiert:
Die Aufgabensteller haben von dieser Art von Beispiel offenbar keine Ahnung
Ohne ins Detail zu gehen gibt es dazu folgendes zu sagen: Alle Aufgaben wurden von mehreren Experten_innen (u.a. von einer Didaktik-Arbeitsgruppe der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft) begutachtet und freigegeben. Herr Taschner beschuldigt daher eine relativ große Gruppe von Fachkollegen_innen, nichts vom Fach zu verstehen.
Es geht in dem Beispiel darum, ob eine bestimmte mathematische Schreibweise in einem bestimmten Kontext verwendet werden darf. Es gibt mathematische Gebiete, wo das, was Herr Taschner meint, bei der dort üblichen Begriffspräzision notwendig ist. Das gilt aber offenbar nach Meinung der befassten Experten_innen nicht für den Kontext, in dem dieses Beispiel zu sehen ist.
Viele Mathematiker_innen sind dieser Meinung, sonst wäre das Beispiel nicht akzeptiert worden. Außerdem wird zumindest in einigen Schulbüchern ebenfalls die Schreibweise verwendet, die Herrn Taschner so missfällt.
Herr Taschner meint aber, dass seine spezielle Einschätzung in Fragen der mathematischen Notation die alleinseligmachende ist und alle Fachkollegen_innen, die eine andere Meinung vertreten, offenbar keine Ahnung haben.
Beide angesprochenen Themen zeigen übrigens deutlich, dass eine Folge der Zentralmatura sein kann, dass wir uns endlich ernsthaft der öffentlichen Diskussion darüber stellen, was Bildung und insbesondere Allgemeinbildung heute ausmacht. Wenn die Zentralmatura bewirkt, dass diese Diskussion endlich stattfindet, dann hat sie so ganz nebenbei Großes geleistet.
Und noch eine persönliche Anmerkung:
Ich finde ja, dass man als Wissenschafter_in bei öffentlichen Äußerungen klar zu machen hat, ob man eine persönliche Meinung, den Konsens vieler Fachkollegen oder eine wissenschaftlich einigermaßen abgesicherte Feststellung berichtet. Das nicht zu tun halte ich für einen massiven Mangel an Allgemeinbildung.