Wie groß dürfen Klassen in der AHS sein?
Wir haben wieder eine aktuelle Diskussion zu einem Bildungsthema: Klassenschülerhöchstzahl.
Laut Gesetz sollen Klassen in der Unterstufe der AHS mindestens 20 und höchstens 25 Schüler haben. Das wird in ziemlich vielen Fällen nicht eingehalten.
Es gibt eine Ausnahmeregelung: Die Zahl 25 darf um bis zu 20 % überschritten werden, wenn dadurch Abweisungen von Schülern verhindert werden können.
Originaltext BM Schmied, Mittagsjournal OE1, 26. Mai 2012:
Das Gesetz schreibt 25 plus 20 Prozent vor, das ist für jedermann im Gesetz nachzulesen. Da habe ich mir nichts vorzuwerfen.
In jeder Diskussion ist es hilfreich, sich sowohl die Grundlagen als auch die Daten anzusehen.
Das Schulorganisationsgesetz sagt im Par. 43 Abs. 1
Die Klassenschülerzahl an der allgemein bildenden höheren Schule darf in der Unterstufe 25 und in der Oberstufe 30 nicht übersteigen und soll jeweils 20 nicht unterschreiten. Um Abweisungen zu vermeiden, kann die Klassenschülerhöchstzahl bis zu 20 vH überschritten werden; darüber hat die Schulbehörde erster Instanz zu entscheiden.
Im selben Gesetz sind die Passagen über die Hauptschule und die Neue Mittelschule (Par. 21 und Par 21h)
praktisch wortident:
Die Klassenschülerzahl an der Hauptschule (Neuen Mittelschule) hat 25 als Richtwert zu betragen und soll 20 nicht unterschreiten. Sofern hievon aus besonderen Gründen (zB zur Erhaltung von Schulstandorten) ein Abweichen erforderlich ist, hat darüber die nach dem Ausführungsgesetz zuständige Behörde nach Anhörung des Schulerhalters, des Bezirksschulrates und des Landesschulrates zu entscheiden.
In Bericht Bildung in Zahlen der Statistik Austria findet man auf Seite 77 Daten, die das Problem quantifizieren (alle Daten für das Schuljahr 2010/11).
In der Hauptschule hatten 209 von 9614 Klassen (also 2%) mehr als 25 Schüler, in der Neuen Mittelschule hatten 79 von 1658 Klassen (also 5%) mehr als 25 Schüler, und in der AHS-Unterstufe hatten 1793 vom 5478 Klassen (also 39%) mehr als 25 Schüler.
Wenn man das Problem aus der Sicht der Betroffenen, also der Schüler sieht, dann sieht man (ebenfalls auf derselben Seite des zitierten Berichts), dass in der Hauptschule 3%, in der Neuen Mittelschule 6% und in der AHS-Unterstufe 44% der Schüler eine Klasse mit mehr als 25 Schülern besuchen.
Auf Seite 141 im selben Bericht gibt es eine Bundesländerübersicht, der man entnehmen kann, dass in 5 Bundesländern (Kärnten, Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Wien) die durschschnittliche Klassengrösse der AHS-Unterstufe mindestens 25 beträgt (in Wien 25,0, in den anderen 4 Bundesländern mindestens 25,3).
Die durchschnittliche Klassengrösse in der Hauptschule beträgt in Wien 21,9 und in allen anderen Bundesländern höchstens 20,6).
Die essentielle Frage ist jetzt, wie man die Regelung Um Abweisungen zu vermeiden, kann die Klassenschülerhöchstzahl bis zu 20 vH überschritten werden interpretieren soll.
Als Statistiker (und als Anwender gesunden Hausverstandes) würde ich meinen, dass da eine Ausnahmeregelung beschrieben wird, die man nur in Extremfällen und nur ganz selten anwenden sollte. Das Gesetz schränkt die Anzahl der Ausnahmen, die bewilligt werden können, allerdings nicht ein. Ob man aber eine Regelung, die 43% der Angehörigen einer Gruppe (AHS-Schüler) betrifft, noch als Ausnahmeregelung bezeichnen kann, ist zumindest diskussionswürdig.
Die Frage ist schon, ob ein System, dass fast der Hälfte der Nachfrager die eigentlich vorgesehenen Bedingungen nicht mehr bieten kann, dem Sinne nach noch als gesetzeskonform angesehen werden kann.
Vor allem dann, wenn die Einhaltung gleichartiger Bedingungen in anderen Teilen des Systems klaglos funktioniert.