Brauchen wir spezielle Taschenrechner im Mathematik-Unterricht?

Posted by Erich Neuwirth on 6. Februar 2017 in Allgemein |

Vor einigen Tagen war ich auf Twitter eine Diskussion zum Thema „Schultaschenrechner” verwickelt.
Ausgangspunkt war ein Artikel auf heise.de

Dieses Thema hat zwei Aspekte; als erstes den, der in dem Artikel angesprochen wird:
Sind diese Rechner durch das Duopol der Hersteller nicht eigentlich viel zu teuer?

Das wichtigere Thema ist allerdings: ist diese Art von Taschenrechner überhaupt ein sinnvolles und zeitgemäßes Hilfsmittel?

Die anspruchsvollen Taschenrechner vom Casio und Texas Instruments,
die in der Sekundarstufe II verwendet werden, decken normalerweise
drei mathematische Teilbereiche ab:

  • Numerisches Rechnen, mit Winkel-, Exponential- und Logarithmusfunktionen
  • Funktionsschaubilder
  • algebraisches Rechnen (Termumformungen, Lösen von Gleichungen)

Auf den besonders gut ausgestatteten Geräten gibt es dann auch noch
Module zu dynamischer Geometrie.

Mit diesen Geräten gibt es aus didaktischer Sicht ein fundamentales Problem:
Außerhalb des Schulunterrichts werden sie praktisch nirgends verwendet.
Die Schule vermittelt also im Mathematikunterricht als eine der zentralen Botschaften: In Mathematik in der Schule verwenden wir Werkzeuge, die kein Mensch außerhalb der Schule je verwendet.

Dabei gibt es dieselben mathematischen Werkzeuge auch auf Geräten, die die meisten Schüler(innen)? schon haben: Smartphones und Tablets.
Für diese Geräte gibt sehr viele Apps, die all das abdecken, was die Taschenrechner können.
Da fast alle diese Geräte auch schon eine Kamera eingebaut haben können sie sogar noch mehr:
Photomath und Mathpix können mathematische Ausdrücke abfotografieren, erkennen und dann weiterbearbeiten. Man kann also eine eine gedruckte Gleichung oder sogar eine
auf Papier mit der Hand geschriebene Gleichung abfotografieren und dann von der App lösen lassen. Wenn man will kann man sich den Lösungsweg sogar Schritt für Schritt vorführen lassen.

Für dynamische Geometrie gibt es GeoGebra.

Es gibt also Geräte, die die meisten Schüler(innen)? schon selber haben, die man direkt im Mathematikunterricht einsetzen könnte. Die jungen Leute würden also sehen, dass Geräte, die in ihrem Alltag außerhalb der Schule eine wesentliche Rolle spielen, auch im Mathematikunterricht eine entscheidendene Hilfe sein können.

In vielen Schulen ist allerdings der Gebrauch vom Handys während der Unterrichtszeit strikt verboten. Statt Mühe darauf zu verwenden, schulisches und außerschulisches Leben miteinander zu verbinden, sperrt die Schule außerschulisches Leben aus!

Ein möglicherweise vorgebrachtes Argument, nämlich dass es sich bei den Smartphones und Tablets der Schüler(innen)? um Produkte verschiedener Herstellen handelt und daher nicht alle dieselben Werkzeuge zur Verfügung hätten beruht auf einem Missverständnis. Das mathematische Werkzeug ist das Programm, nicht der Rechner oder das Smartphone, und die angeführten Apps gibt es sowohl für Android als auch für iOS, also für praktisch alle gängigen Smartphones und Tablets.

Beim Rechnereinsatz im Mathematik-Unterricht sollte man aber vor allem Folgendes bedenken: Im Leben außerhalb der Schule wird der überwältigende Anteil aller Aufgaben, bei denen gerechnet werden muss, mit Excel (von Microsoft) gerechnet. Das ist DAS Standard-Werkzeug für numerisches Rechnen. Das wirkt sich auf den Mathematikunterricht bisher nur in sehr geringem Umfang aus. Excel deckt die Bereiche numerisches Rechnen und Funktionsschaubilder vollständig ab, und es bietet einige zusätzliche Möglichkeiten.

Und es ist sowohl für Android als auch für iOS verfügbar, passt also eine Smartphone/Tablet-Strategie.

Es gibt heute wirklich keinen ernstzunehmenden Grund mehr, spezielle Taschenrechner für den Mathematikunterricht anzuschaffen.

P.S.: Vielleicht haben sie sich gewundert, warum da Schüler(innen)? steht.
Das ist der Mechanismus, den ich fürs gendersensible Schreiben verwende. Er kommt aus der Informatik und heißt „reguläre Ausdrücke”. Wenn eine Buchstabenfolge in Klammern steht und unmittelbar danach ein Fragezeichen, dann bedeutet das, dass diese Buchstabenfolge an dieser Stelle einmal (nicht öfter) oder eben nicht vorkommen kann. Ein geklammerter Ausdruck mit gleich danach einem Plus-Zeichen heißt, dass dieser Ausdruck mindesten einmal, aber auch öfter, nämlich beliebig oft vorkommen kann.
(ha)+ kann also ha, haha, hahaha, hahahaha … sein.
Ein geklammerter Ausdruck mit mehreren senkrechten Strichen bedeutet, dass genau einer der Teilausdrücke verwendet werden kann.
(jetzt|immer|nie) kann also jetzt oder immer oder nie sein.

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