Weltklasse-Uni, wo bist du geblieben?

Posted by Erich Neuwirth on 16. April 2012 in Allgemein |

(Langfassung eines Artikels aus der Wiener Zeitung)

Vor wenigen Tagen konnte man es in der Presse lesen:
Jetzt ist auch die letzte österreichische Universität aus der Liste der weltweit besten 100 Universitäten hinausgeflogen (Ranking des Times Higher Education Supplement). Voriges Jahr war die Universität Wien noch zwischen 91 und 100 angesiedelt (genauer werden die Ränge in diesem Bereich nicht ausgewiesen). Spitzenplätze belegen Universitäten wie Harvard, MIT, Cambridge, Stanford und Berkeley. Was haben diese Spitzenunis gemeinsam? Erstens einmal dass es unter den 10 bestgereihten nur eine einzige gibt, die nicht in den USA oder England angesiedelt ist, nämlich Tokio auf Platz 8. Und zweitens, dass sich alle diese Universitäten ihre Studierenden aussuchen dürfen. Man bewirbt sich um einen Studienplatz und wird dann zugelassen oder auch nicht. Typischerweise werden an amerikanischen Spitzenunis 10% der Bewerber (oder sogar weniger) aufgenommen. Das waren beispielsweise an der Stanford University im Wintersemester 2011/2012 1.700 Studierende (in allen Fächern zusammen) und an der Universität Berkeley (einer für US-Verhältnisse großen Universität) knapp 4.000 Studierende. Die Universität Wien hatte im selben Semester knapp 18.000 Studienanfänger, das sind fast 25% eines Geburtsjahrgangs. Davon haben ca. 650 ein Publizistik- und 480 ein Psychologie-Studium begonnen. Nimmt man als grobe Schätzung an, dass die 15 amerikanischen Spitzenunis etwa 40.000 Studienanfänger aufnehmen, dann sind das bei einer Geburtsjahrgangsgröße von etwa 4 Millionen 1% eines Geburtsjahrgangs. Wenn eine österreichische Spitzenuni mit derselben Selektionsrate auswählen dürfte, dann würde sie pro Jahr ca. 800 Studienanfänger (über alle Studienrichtungen hinweg) aufnehmen. Was hat das mit dem internationalen Ansehen einer Universität und der Platzierung in Rankings zu tun? Das Times-Ranking beruht ja auf einer Befragung von Wissenschaftern, hängt also stark von der Sichtbarkeit der wissenschaftlichen Leistungen einer Universität ab. Das muss mit der Studierendenzahl ja nicht direkt zusammenhängen. Warum es da einen Zusammenhang gibt möchte ich mit einer kleinen Geschichte illustrieren.

Vor einigen Jahren war ich zu einem Vortrag am MIT eingeladen (also wird die Forschungsleistung österreichischer Universitäten in den USA durchaus wahrgenommen!). Ich bin dort mit meinen Gastgebern in reguläre Lehrveranstaltungen für erstsemestrige Studierende mitgegangen und hatte ein Aha-Erlebnis. Man steht dort als Lehrender vor einer Gruppe ungemein intelligenter, wacher, begabter und sachlich kritischer Studierender (schließlich gehören die zum besten Prozent eines Jahrgangs). Die merken den kleinsten Fehler, den man macht. Man muss sich in der Vorbereitung der Lehre also wirklich bemühen, korrekt und präzise und zusätzlich auch verständlich zu sein. Das Problem, wie man auch durchschnittlich begabten Studierenden komplexe wissenschaftliche Sachverhalte verständlich macht, stellt sich Wissenschaftern an derartigen Spitzenuniversitäten nicht. Daher ist die Vorbereitungsarbeit, die man für die Lehre leisten muss, dem, was man in der eigenen (karriererelevanteren) wissenschaftlichen Arbeit tut, wesentlich näher als an einer Universität, wo die didaktische Aufbereitung bekannter Inhalte auch für durchschnittlich Begabte größeren Aufwand erfordert. Wenn die Herausforderungen der Lehre denen der Forschung ähnlicher sind, dann ist das ein Vorteil für die eigene Forschungsarbeit. Das trägt auch dazu bei, dass Spitzenunis insgesamt auch bessere Forschungsleistungen erbringen.

Eine Institution wie das ISTA in Klosterneuburg ist im Übrigen keine vollständige Antwort auf dieses Problem. Das ISTA ist keine Universität. An einer Universität muss man als Lehrender nämlich Studienanfängern die grundlegenden Fragen der eigenen Wissenschaftsdisziplin erläutern. Man muss also – vereinfacht gesagt – sehr intelligenten Noch-Nicht-Fachleuten die Grundprinzipien des eigenen Faches verständlich machen. An einem Forschungsinstitut arbeitet man mit Fachleuten zusammen, die die Grundausbildung in einer Wissenschaftsdisziplin bereits hinter sich haben. Sich in Anfängerlehrveranstaltungen den Grundfragen der eigenen Wissenschaft zu stellen ist etwas gänzlich anderes als das Untersuchen von speziellen Fragestellungen in gerade aktuellen Teilgebieten der Wissenschaft. Universitäten definieren sich über die Einheit von Forschung und Lehre, Forschungsinstitute wie das ISTA tun das nicht.
Das heißt nicht, dass wir in Österreich jetzt eine Spitzenuniversität nach dem Vorbild einer amerikanischen Spitzenuniversität fordern oder einrichten sollen.
Wir sollten uns aber darüber im klaren sein, dass unsere Rahmenbedingungen völlig anders und Vergleiche in Rankings daher nur sehr bedingt aussagekräftig sind.

Und noch etwas: Das Jahresbudget der Universität Wien beträgt etwa 400 Millionen Euro (bei 90.000 Studierenden). Das Jahresbudget der Universität Stanford beträgt etwa 4 Milliarden Dollar (bei 9.000 Studierenden). Pro Student hat die Universität Stanford (bei einem Wechselkurs 1$=0,75€) also 75x so viel Geld zur Verfügung wie die Universität Wien.

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