Die Bundeshymne und die Kunst

Posted by Erich Neuwirth on 26. Juni 2014 in Allgemein |

Ich schreib ja nicht oft zu Themen außerhalb meiner Fachkompetenzen.

Und zur aktuellen Bundeshymnendiskussion gibts auch schon viele Wortmeldungen.

Bei der Ablehnung oder Zustimmung zur Neufassung wird nahezu ausschließlich von Ideologie getragen argumentiert.

Man kann aber auch für ein gendergerechtes Umschreiben der Hymne sein und die aktuelle Fassung für ziemlich missglückt halten, so wie ich das tue. Und deswegen melde ich mich auch zu Wort.

Es geht um künstlerische Aspekte.

Der Wikipedia-Artikel über die Bundeshymne liefert eine gute Übersicht über die Entstehungsgeschichte. Er beschreibt auch, dass die Originalfassung von Paula von Preradović nicht die endgültige Fassung ist, und setzt damit so ganz nebenbei das Argument, man dürfe am Werk einer Künstlerin keine Änderungen vornehmen, außer Kraft.

Es gibt 2 Änderungen

Heimat bist du großer Söhne,

wurde zu

Heimat großer Töchter und Söhne,

und

Einig laß in Brüderchören,

wurde zu

Einig laß in Jubelchören,

Der Text der Bundeshymne ist ein Gedicht mit striktem Versmaß, nämlich Trochäen. Die Abfolge eine betonte Silbe – eine unbetonte Silbe wird mehrmals wiederholt. In der dritten und der sechsten (und damit auch in der siebenten) Zeile jeder Strophe fällt die unbetonte Silbe am Ende weg.

In der Originalfassung von Paula von Preradović und in der endgültigen bis 2011 per Gesetz festgelegten (vom Originalentwurf abweichenden) Fassung wird diese Struktur ohne die geringste Abweichung eingehalten.

Die Änderung mit den Jubelchören erhält das Versmaß, die Änderung mit den Töchtern aber nicht. Da wird ein Trochäus durch einen Daktylus (betont – unbetont – unbetont) ersetzt und der Rhythmus der Zeile zerstört. Das musikalische Äquivalent wäre, mitten in einem Marsch (Zweivierteltakt = Trochäus) einen einzelnen Walzertakt (Dreivierteltakt = Daktylus) einzuschieben.

Im zitierten Wikipedia-Artikel kann man lesen, dass es auch alternative Umtexttungsvorschläge gegeben hat. Zumindest einer davon hätte das Versmaß erhalten! Man hätte den Text also auch ohne Versmaßregelverstöße gendern können.

Einen Text in gebundener Sprache unter strikter Einhaltung einen Versmaßes zu schreiben ist Kunst, und Kunst hat mit Schönheit zu tun.

Dass man die struktur- (und schönheits-) zerstörende Änderung genau vor der Zeile

Volk begnadet für das Schöne

vorgenommen hat, ist von besonderer Ironie und wohl ein Hinweis darauf, dass das Kunstverständnis der Volksvertreter zum Zeitpunkt der Abstimmung gewisse Mängel aufgewiesen hat.

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